HANSA-Kurzgeschichte: Spiele im Herbst

Unser HANSA-Kolumnist über drei HANSA-Spiele im Herbst, abstruse und unwirkliche Feld- und Wiesen-Indianer und ein herzliches willkommen an den neuen Trainer.

Eine wahre HANSA-Kurzgeschichte

Was für eine englische Woche! Gleich vorweg zur Klarstellung, ich meine nicht die normale, klassische, sondern meine ganz persönliche englische Woche. Die „Klassische“ umfasst ja bekanntlich acht Wochentage zwischen zwei Spieltagswochenenden mit einem Pflichtspiel unter der Woche. Meine englische Woche begann mit einem Auswärtsspiel unseres FCH an einem Dienstagabend in Saarbrücken.

Am Wochenende davor hatten wir, mal wieder, (laut allen Spielberichten), „unverdient“ verloren. Das sah ich etwas anders. Wie heißt es in Beurteilungen immer so schön?: „Stets bemüht“ Und dieses Urteil passte zum Spiel wie auch zum bisherigen Saisonverlauf. An der Einstellung, oder besser am Willen zu gewinnen, hat es bei unseren Jungs nicht gemangelt (und ich glaube auch, dass sie die notwendigen fußballerischen Qualitäten haben). Aber, so sah es oft aus, die Angst zu verlieren war größer, wie auch im Spiel am Samstag gegen Aachen. Ein Verein, der in unserem Ostseestadion noch nie ein Tor geschossen hatte und nun mit einem 2:1 nach Hause fuhr. Danach hatten wir in zehn Spielen zehn Punkte geholt und standen auf einem Abstiegsplatz. In diesen zehn Spielen hatten wir übrigens neun Mal Pfosten oder Latte getroffen und mussten, laut Babak Rafati, mindestens acht krasse Schiedsrichter-Fehlentscheidungen gegen uns schlucken. Aber wir hatten auch erst zwölf Mal getroffen und 14 Gegentore kassiert. Wie gesagt: Stets bemüht! Das Aachen-Spiel hatte ich übrigens allein zu Hause vorm (Magenta)TV geguckt und der restliche Tag war deprimiert im Arsch (meine arme Liebste). In den Tagen danach fragte ich mich zum ersten Mal, ob die emotionale Reaktion mit anderen zusammen im Stadion eventuell anders sein würde, vielleicht weniger heftig?

Danke, Bernd!

Dem DFB sei Dank war englische Woche und drei Tage später stand nun das Spiel in Saarbrücken an. Ich machte früher Feierabend, Fankumpel Robin kam auch direkt aus dem Büro und wir fuhren buchstäblich der Abendsonne, nicht dem Morgengrauen, entgegen. Wir fanden, trotz gleichzeitigem Bob Dylan-Konzert in der Stadt, einen guten Parkplatz und die vielen (wie immer in Ostfrankreich) Uniformierten standen Blaulicht-flackernd Spalier auf dem Weg zum Stadion. Dieses neue Ludwigspark-Stadion finde ich ja irgendwie witzig, eine Mischung aus Sportplatz und luftigem Pavillon auf der Terrasse. Schnell noch ein (Voll)Bier und mit Stehplatzkarten entspannt rein in den Sitzplatzblock. Als ich im Block war, kam mir plötzlich mein letzter Besuch hier in den Sinn: Das total verrückte 2:1 gegen Elversberg am Anfang der letzten Saison. Sofort Gänsehaut, „da war die HANSA-Welt noch in Ordnung, damals…“ Und am Anfang stimmte es auch an diesem Abend: Flutlicht, angenehmes Wetter, sehr gut gefüllte Blöcke und ansprechende Pyroshows auf beiden Seiten. Unser Spiel wirkte auf mich allerdings von Anfang an planlos, uninspiriert und irgendwie verzweifelt („stets bemüht“). Nur ein Beispiel: Ryan Naderi, vorne drin im Mittelfeld als Zielspieler und Ballverteiler. Wenn nach unserem behäbigen Hintenrum-Gespiele mal ein langer, ungenauer Pass auf ihn kam, dann hatten zwei bis drei Gegenspieler genügend Zeit, ihn zuzustellen und entscheidend zu stören. Ich glaube, irgendwann in der 75. Minute (!) konnte Naderi das erste Mal einen Ball sauber mit der Brust annehmen und weiterleiten. Das war vorhersehbar und einfach zu verteidigen. Dass wir das erste Gegentor schon wieder nach einer Ecke bekamen, ist da schon fast eine lächerliche Nebensache. Dass uns mindestens ein Elfmeter nicht gewährt wurde, nicht, aber wir sind jetzt nun mal in der 3. Liga. Am Ende waren Robin und ich natürlich ziemlich bedient und sprachen auf der Rückfahrt, unter anderem, darüber wann wohl der Trainerrausschmiss passieren wird. Ich bin wirklich überhaupt kein Fan von dieser Maßnahme, aber nach dem Spiel war auch ich für: „Danke, Bernd!“ und wir vermuteten, dass das dann wohl nach dem Heimspiel am Samstag gegen RWE passieren würde. Und was das Ergebnis meines kleinen Selbst-Feldversuches betrifft: Definitiv ist eine Niederlage live und mit anderen zusammen erlebt weniger deprimierend.

Was für Gedanken?!

Schon am nächsten Morgen auf der Arbeit kam die Nachricht, dass unser Cheftrainer freigestellt wird und unsere zwei Co-Trainer, vorläufig, die Verantwortung an der Seitenlinie übernehmen. Und plötzlich freute ich mich wieder auf das nächste Spiel. In Saarbrücken kam mir nämlich ernsthaft der Gedanke, trotz Tickets am Samstag nicht ins Stadion zu gehen (Was für ein absurder Gedanke!). Nun aber, nach der Meldung von der Hollerbach-Beurlaubung, wurde mir klar, ich würde die gleiche Mannschaft innerhalb von fünf Tagen zweimal unter verschiedenen Trainern live im Stadion sehen (Was für ein geiler Gedanke!). Der Rest der Woche verging schnell und am Freitag packten meine Liebste und ich die Koffer. Am Abend starteten wir dann in die Nacht zu einem einwöchigen Urlaub an der Ostsee. Nach drei Blitzer-Portraitfotos und einem Frühstücksstopp bei meinem Neffen und seiner kleinen Familie in Altentreptow kamen wir pünktlich in der schönsten Hansestadt an, parkten das Auto, legten die Schals an und betraten endlich mal wieder das Ostseestadion. An unseren Sitzplätzen auf der Nord erfuhren wir dann, dass das Spiel eine halbe Stunde später beginnt, weil Essen-Fans nicht rechtzeitig angekommen waren. Dazu später noch mehr, aber für den Moment war es egal, wir genossen einfach die geile Atmosphäre in „unserem Wohnzimmer“. Und es ist ja wirklich auch Wahnsinn. Nach dem Abstieg und diesem gruseligem Saisonbeginn sitzen und stehen mit uns zusammen über 24.000 Menschen im Stadion und die meisten davon fiebern mit Freude auf einen Sieg unseres FCH hin: „da können andere Vereine nur staunen“. Und klar, wenn die alle zusammen dann stehen, ihre Schals präsentieren und „HANSA forever“ singen, dann hängt bei mir immer wieder eine kleine Träne im Knopfloch – Hühnerpelle am ganzen Körper! Zum Spiel liest und schaut man am besten diverse Spielberichte. Ich kann nur sagen, das war ne ganz andere Mannschaft als ein paar Tage zuvor im Saarland. Personell nicht unbedingt, aber endlich spielten die Jungs Fußball: mutig, überraschend und halt auch erfolgreich mit 4:0. Okay, immer wenn RWE in unserem Strafraum war, vor allem bei Ecken, blieb das Herz kurz stehen. Aber umso länger das Spiel lief, umso größer wurde die Zuversicht, dass das heute klappt. Dabei hatte ich das erste Tor gar nicht gesehen. Ich war grad auf dem Weg zum Klo (Ich weiß, Klogänger nerven genauso wie Bierholer), stand da kurz vor den Pissoirs und hörte den Jubel von oben. Aber eben nicht den abrupt erstickten wie nach einer Großchance, sondern den erlösten, entfesselten Jubel nach einem Tor („düpdüpdüp…“). Ein richtig geiler Moment, nur das mit dem Abklatschen war auf Grund der örtlichen Situation nicht ganz so angebracht. Zwei Punkte finde ich zu diesem Spiel bemerkenswert. Die beiden Interimstrainer haben während des Spiels einfach mal unsere ersten beiden Torschützen (Schumi, Gebuhr) aus- und zwei erfolgreiche Joker (Naderi, Krohn) eingewechselt. Wann hat zuletzt ein Trainer bei uns diese Chuzpe besessen? Und zweitens, die Interviews nach dem Spiel. Sinngemäß haben die (Co)Trainer Rabenhorst und Pesch auf die Frage, was sie verändert haben, gesagt: Die Mannschaft soll Spaß haben und spielen (Beckenbauer lässt grüßen)! So einfach und erfolgreich kann Fußball sein (und so ohrfeigig gegen den zu Recht entlassenen Trainer). Jedenfalls war der Übernachtungsabend im Rostocker Penta-Hotel gerettet.

Feld- und Wiesen-Indianer oder Hansa-Fans?

Beim Frühstück am Sonntag sah ich dann auf Instagram die ersten Bilder vom „Überfall“ auf den RWE-Fanzug, der zur halbstündigen Anstoß-Verspätung gestern geführt hatte. Ich sah die Fotos und dachte zuerst, das wäre ein Fake oder ein Witz. Die sahen aus wie Szenenfotos aus einem billigen Apokalypsefilm: Eine einsame Bierdose vor einem alten Zugfenster durch das man, im dichten grauen Nebel, irgendwie weiß uniformierte, zombiehafte Gestalten sah, die Steine gegen den Zug warfen. (Es hätte auch eine Szene aus einem alten Western sein können, in der amerikanische Ureinwohner mit Pfeil und Bogen das „Stahlross“ angreifen.) Mein erster Gedanke war: Was hätte ich gemacht, wenn ich im Zug gewesen wäre? Ich hätte mir das Bier geschnappt, wär raus aus dem Abteil und hätte dem Zugführer zugerufen: „Fahr schneller, die Russen kommen“! Die tatsächlichen Insassen zogen stattdessen die Notbremse! Wahrscheinlich weil sie spontan Lust bekamen auf eine stimmungsvolle Feld- und Wiesenklopperei irgendwo im brandenburgischen Nirgendwo. Das war schon eine total bescheuerte Idee, aber das ist ja noch gar nichts gegen die Idee zu dieser ganzen „Überfall“-Aktion! Wie, bitteschön, kommt man auf solch eine komplett sinn- und wertfreie Scheiße?! Sitzt man dafür bei irgendwelchen Rauschmitteln zusammen und sagt sich: „He, wollen wir Samstag nicht in aller Herrgottsfrühe raus auf die Felder laufen? Da kommt ein Fan-Sonderzug auf dem Weg nach Rostock vorbei. Den könnten wir doch mit Steinen bewerfen und dabei wie Idioten aussehen!? Au ja, das machen wir!“ Wie formulierte Robert Marien es einmal so schön: „Leute, die zu dicht an der Wand geschaukelt sind!“ Amen. Dass diese, nicht mal als schlechter RTL2-Real-Doku-Gag durchgehende, Aktion allerdings dann gleich wieder von fast allen Medien in direktem Zusammenhang mit unserem FC HANSA gebracht wurde, kotzte mich ebenfalls an. Auf dem Titelblatt der OZ vom Montag war ein schönes Jubelbild von unserem 4:0-Sieg zu sehen, und drunter stand irgendwas von HANSA-Fans die brutal einen Zug überfallen haben. Versteht mich nicht falsch, wahrscheinlich bezeichnen sich diese „Feld- und Wiesen-Indianer“ tatsächlich als „HANSA-Fans“. Und da es sich bei dieser Bezeichnung nicht um ein juristisch definiertes Copyright handelt (auf Deutsch: Jeder Idiot kann sich so nennen), muss man so eine Aussage leider so stehen lassen. Aber was bitte kann der FC HANSA Rostock dafür? Wo fand die Aktion statt? 100, 150 Kilometer entfernt von Rostock? Soll der Verein jetzt auch jedes Mal den Kopf hinhalten, wenn irgendwo im Land ein Raser mit FCH-Wimpel am Spiegel geblitzt wird? (Ich;o) Oder wenn beim Oktoberfest ein Typ im HANSA-Shirt ans Festzelt pinkelt? Jetzt lasst mal die Kirche im Dorf. Dass es in unserer großen Fanschar auch dummköpfige Arschlöcher gibt, ist hoffentlich jedem klar (außer den Gemeinten), aber wo gibt es die nicht? Und wenn alle anderen denen das Feld überlassen, dann haben die Arschlöcher irgendwann das Sagen. Unsere fünf Aufsichtsräte, die am Sonntag nach dem Sieg gegen Essen ihren Rücktritt erklärt hatten, überließen das Feld wohl auch anderen. Ich habe die Gründe für den Rücktritt bis heute nicht wirklich verstanden (und die Tapete aus 9a nicht gelesen, weil ich direkt daneben im Block saß), aber was man aus der offiziellen Begründung rauslesen konnte (Werte des Vereins achten, rote Linie überschritten, Zug-„Überfall“), klang für mich unverständlich und irgendwie nicht „greifbar“. Aber okay, ich bin ehrlich. Ich bin zwar seit Jahren Vereinsmitglied aus Überzeugung, aber ich war noch nie auf einer Mitgliederversammlung und lese auch nicht jede Vereinsmitteilung bis zum Ende durch. Ich melde mich nicht monatlich beim Verein, um meine Meinung kundzutun. Und die Ostsee-Zeitung habe ich auch nicht abonniert. Soll heißen, ich bin gar nicht nah genug dran am Verein, um zu verstehen, was da eigentlich abgegangen ist im Aufsichtsrat. Das Interview mit unserem (Übergangs?)Vorsitzenden Sebastian Eggert (der erste Capo, den ich auf dem Zaun erlebte) habe ich mir allerdings in einer ruhigen Minute in unserem gemütlichen Ferienhaus an der Ostsee angehört. Für mich klang „Eggi“ recht vernünftig und ich hoffe und wünsche, dass sein vernünftiger Einfluss auf unsere verschiedenen Fangruppen immer noch groß genug ist.

Zweiter Streich der Co-Interimstrainer

Was ich in Rerik auch hingekriegt habe, war, den wirklich sehenswerten Film „Wochenendrebellen“ anzuschauen und mir schnell noch ein Ticket fürs Heimspiel am folgenden Samstag gegen die „Osnasen“ digital zu sichern (war so nicht geplant). Was nicht klappte, war auf gleichem Weg ein Ticket für unser Auswärtsspiel Ende November (in vier Wochen!) bei 1860 in München zu ergattern. Leck mich fett! Keine zehn Minuten und die Tickets waren weg. Die letzten 150 sollten dann am Samstag, vor dem Spiel gegen Osnabrück, am Stadion verkauft werden. Ich fuhr kurz vor 11 am Nordvorplatz vorbei und die Schlange zum Kassenhäuschen sagte mir, dass es keinen Sinn machen würde, für ein Ticket mit Warnblinker in zweiter Reihe zu parken. Fuck off. Ich stellte das Auto ordnungsgemäß ab, holte mir ein Bier und genoss den Sonnenschein bis zum Treff mit Fankumpel Robin. Diesmal ging es in den Block 1 auf der Nord, die Stimmung war super nur das Spiel war deutlich „angestrengter“ als noch vor einer Woche. Egal, am Ende stand es 2:0 für uns, die Co-Interimstrainer blieben siegreich und der Sonnenuntergang auf der Rückfahrt war einfach nur geil. Ostsee wir lieben dich. Und dich, FC HANSA, natürlich auch!

Diese meine (unsere) krasse „englische Woche“ endete damit, dass am Sonntag auch noch unser neuer Cheftrainer vorgestellt wurde: Daniel Brinkmann, mit einem Trainerprofil wie ich es mir schon nach der Entlassung von Härtel gewünscht habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er der Richtige für uns ist. Herzlich Willkommen Daniel und damit kann die Zukunft beginnen!

AHU und Sport frei
vom Rhein an die Ostsee
Olaf Peters

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Von Olaf Peters

Olaf Peters, Jahrgang 1971, war mit sieben das erste Mal im Ostseestadion und leidenschaftet seit dem mit unserem FCH.

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