Sächsische Zwangsverfrachtung an die Ostsee

Wie 1954 aus dem Oberliga-Spitzenclub von Empor Lauter aus dem Erzgebirge plötzlich der SC Empor Rostock wurde.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Natürlich wurde in Mecklenburg schon immer Fußball gespielt. Auch nach dem 2. Weltkrieg. Anker Wismar aber tanzte in der Saison 1949/50 (die erste DDR-Meisterschaft) nur einen Sommer auf höchster Ebene, und danach war Mecklenburg ein weißer Fleck auf der Landkarte des DDR-Oberliga-Fußballs.

Im „Sächsischen“ andererseits nahmen sich mit Motor Zwickau, Wismut Aue und Empor Lauter gleich drei Mannschaften gegenseitig die Zuschauer weg. Der Einfall, Empor Lauter aus dem Erzgebirge an die Küste zu verpflanzen, soll von Harry Tisch, später mächtiger Vorsitzender des FDGB, stammen. Dem damals 27-Jährigen erklärten Fußballfan, Vorsitzender des Rates des Bezirkes Rostock, war es offenbar zu aufwendig, seinem Freizeitvergnügen in Berlin oder noch weiter südlich nachzugehen. Nach langwierigen Verhandlungen mit den Spielern aus Lauter war es Ende Oktober 1954 schließlich soweit. Nach dem amtlichen Ansetzungsplan des DFV sollte Empor Lauter, in jenen Tagen Spitzenreiter der Oberliga, sein fälliges Punktspiel gegen Motor Zwickau am 31. Oktober austragen. Dazu kam es nicht mehr. Lauter war an die Küste verfrachtet worden.

Kurt Zapf, in Plauen groß geworden, ist einer, der diesen Weg mitgegangen ist. „Die Vorstellung, aus dem Erzgebirge weg an die Küste zu ziehen, stieß bei den meisten Spielern zu Beginn der Gespräche auf keinerlei Gegenliebe. Schließlich nahm man die Mannschaft zusammen, setzte sie in einen Bus und versuchte ihr die Sache schmackhaft zu machen, indem man einen Ausflug nach Kühlungsborn machte. „Natürlich mit dem Versprechen, dass von nun an Urlaubsplätze überhaupt kein Problem mehr darstellen würden.“ Dass es in Lauter selbst wütende Reaktionen auf den inzwischen bekannt gewordenen Umzug der Empor-Mannschaft gab, lässt sich denken. Karl Pöschel, seit Jahr und Tag Nachwuchstrainer bei den Roslockern und damals auch Spieler der ersten Mannschaft von Lauter, erinnert sich: „Der Zug, mit dem wir die Reise an die Küste antreten sollten, fuhr bei Nacht und Nebel ab. Dennoch erfuhren die Lauterer Fußballfreunde davon und besetzten den Bahnhof.“ 15 Spieler hatten ursprünglich zugesagt; als das Signal endlich auf Grün stand, waren es nur noch elf. Walter Espig, er hatte vorher den Umzug am eifrigsten betrieben, blieb schließlich mit zurück.

In Rostock selbst waren die Lauterer Spieler anfangs keineswegs auf Rosen gebettet. Kurt Zapf: „Wir waren in den ersten Wochen im Hotel Mecklenburger Hof untergebracht. Wohnungen hatte man uns versprochen, aber die Lange Straße war damals erst im Entstehen, und es verging schon noch einige Zeit, bis wir unsere Frauen nachholen konnten.“ Ein reines Vergnügen war der Aufenthalt im Hotel für die Spieler übrigens nicht. „Mit uns unter einem Dach wohnte auch unser Trainer Oswald Pfau. Und obgleich der durchaus kein Kind von Traurigkeit war, passte er auf wie ein Schießhund, dass wir nur kein Bier tranken“, erinnert sich Zapf.

Interessant die Reaktion der Fußballfreunde auf diesen Umzug. In Rostock verfolgten 17.000 Zuschauer das erste Heimspiel gegen Chemie Karl-Marx-Stadt. Im Ostseestadion, damals eher noch eine Baustelle, feierten sie den Punktgewinn beim 0:0 begeistert. Im Erzgebirge aber durften sich die ehemaligen Lauterer Spieler noch nach Jahren nicht sehen lassen. „In Aue und in Zwickau wurden wir bei unseren Auswärtsspielen gnadenlos ausgepfiffen“, weiß Karli Pöschel zu berichten.

Quelle: fuwo-EXTRA – Eine Sonderausgabe der Fußball-Woche

Anmerkung von Rainer Pressprich: Der Fakt „Anker Wismar Wismar tanzte nur einen Sommer…“ ist falsch, denn Anker Wismar schaffte den sofortigen Wiederaufstieg und startete dann aber unter dem Namen Motor Wismar in die Saison. Unter diesem Namen sind dann auch die zwei Wismarer Oberligajahre in den ewigen DDR – Ranglisten aufgeführt.

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